Auch als Karlsruher lese ich die Rhein-Neckar-Zeitung täglich als e-Paper, um auf dem laufenden zu bleiben, was in meiner Heimatstadt Mosbach so passiert. Dafür erfüllt die Zeitung auch ihren Zweck, und der Lokalteil ist so, wie Lokalteile einer solchen Zeitung eben sind – journalistische Meisterleistungen entdeckt man dort seltener. Für eine Großstadt wie Heidelberg ist es allerdings etwas peinlich, wenn die einzige Zeitung, die dort erscheint, so provinziell daherkommt wie die RNZ. Es könnte natürlich auch sein, daß ich der RNZ unrecht tue, und Heidelberg einfach so provinziell ist. Als Beispiel dafür, was ich meine, soll die überregionale Leserbriefseite “Forum” vom letzten Wochenende herhalten.
Dort finden sich folgende Leserbriefe:
- Aufgrund der (Nicht-)Nachricht, daß in einem EU-Feiertagskalender die christlichen Feiertage fehlen, wittert die Leserin eine antichristliche Verschwörung in der EU.
- Die Zustände auf der Gorch Fock findet ein Ehepaar normal; es sei dort eben nicht wie auf einer Waldorfschule, wo mit Wattebällchen gespielt werde.
- Ein Ex-Leutnant verharmlost die Zustände auf der Gorch Fock, und meint, daß es ihm dort eigentlich ganz gut gefallen hat.
- Ein Bauer regt sich so schön über Bionahrungsmittel auf, daß ich ihn hier wörtlich zitieren muß:
Das Hochloben von Bionahrungsmitteln […] treibt die Bauern der über 90 Prozent konventionell produzierenden Lebensmittel in den Ruin. Wenn diese Bauern dann nichts mehr erzeugen, dann müssen die Verbraucher sich mit den zirka sechs Prozent produzierten Bionahrungsmitteln begnügen.
Diese Prozentrechnung erinnert mich an den alten Witz: “Ich kaufe für 10 Mark ein, verkaufe für 20 Mark, und von diesen 10% lebe ich.”
- Eine Leserin beschwert sich darüber, daß die Käufer von Billig-Lebensmitteln für den Dioxin-Skandal mitverantwortlich gemacht werden; für die hohen Preise macht sie die Einführung des Euro (!) verantwortlich.
- Für den nächsten Leser sind die Gemeinderäte verantwortlich, die “die mächtigen Discounter auf die grüne Wiese gelassen haben”.
- Ein Leser gewährt Gewaltverbrechern zwar auch Schutz ihrer Menschenwürde, aber nur, solange es den Staat nichts kostet.
- Eine Leserin schreibt allen Ernstes, daß der Länderfinanzausgleich neu geregelt werden müsse, weil sich Baden-Württemberg keine Studiengebührenfreiheit leisten könne (!), aber anderen Ländern genau dies finanziere.
- Ein promovierter Leserbriefschreiber meint, ebenfalls allen Ernstes, daß man deutsche Kernkraftwerke doch nicht störanfällig nennen könne, da die paar Ereignisse pro Jahr (sechs) ja nur in INES 0 fallen.
- Letztendlich beschwert sich eine Leserin darüber, daß das Außenbecken des Schwimmbades in ihrem Ort demnächst geschlossen wird, da es zu umweltfeindlich sei – Umweltfreundlichkeit sei schließlich nicht das einzige Kriterium, und innen sei es ja auch immer so laut, der Mensch brauche ja schließlich auch seine Ruhe und das Kosten-Nutzen-Denken schade allen.
Eine Leserbriefseite, die quasi als verlängerter Stammtisch dient. Entweder ist die RNZ wirklich so arm dran, daß sie keine besseren Leserbriefe bekommt, oder die Redakteure suchen sich mit Zielsicherheit diejenigen mit den dumpfesten Argumenten heraus. In früheren Ausgaben kamen auf der Leserbriefseite übrigens auch schon mal Revisionisten und andere Wirrköpfe zu Wort.
Leider ist die Situation im RNZ-Blog, das eigentlich das Online-Leserforum ist, aber aus unerfindlichen Gründen Blog heißt, sogar noch schlimmer. Dort sind offen ausländerfeindliche Beiträge und üble gegenseitige Beschimpfungen der Benutzer an der Tagesordnung. Als man ein paar Monate nach der Einrichtung des RNZ-Blogs von einer anfangs verwendeten Blog-Software, die nicht besonders viel taugte, auf WordPress umstellte, hielt man es nicht einmal für nötig, die bisher geschriebenen Artikel und Kommentare zu migrieren – vielleicht auch besser so.
Ich jedenfalls versuche es jede Woche, mich nicht über die RNZ-Leserbriefseite aufzuregen. Es gelingt mir aber nur selten.
Ich erinnere mich mit Freuden an die goldenen Zeiten im Mosbacher Lokalteil (80er/90er Jahre). Damals wurden sowohl intelligentere Leserbriefe wie auch einfach das Zeitgeschehen mit unsäglichen Kommentaren des dummen und meist betrunkenen Redaktionsleiters versehen, die so deutlich die Grenze zur Realsatire überschritten, dass es schon nicht mal mehr peinlich, sondern nur noch lustig war…
HD eine Großstadt? Bei allem, was recht ist, aber da muss ich doch ein wenig innehalten. Allerdings fürchte ich, wären die Kommentare auch in einer Großstadt nicht viel besser. Im Berliner Laubenpieper-Kiez klingt es sicher nicht viel besser…