Vervielfältigen von Noten

Ich habe ja bereits in meinem Artikel über das Singen vom Tablet erwähnt, daß es schwierig ist, legal von digitalen Noten zu singen. Da man aber über das Vervielfältigen von Noten sehr viel Unvollständiges und Falsches liest, möchte ich hier die Informationen zusammentragen. Rechteverwerter wie die VG Musikedition weisen im eigenen Interesse gern darauf hin, was alles nicht erlaubt ist, und erwecken den Eindruck, daß man bei einem Vergehen mit einem Bein im Gefängnis steht, so z.B. in der (sonst eigentlich ganz informativen) Broschüre Legal kopieren? Wir wissen wie!. Ich möchte hier darauf eingehen, was erlaubt ist. Vorneweg: Ich bin kein Jurist, deswegen mag man es mir nachsehen, daß ich mich vielleicht nicht juristisch korrekt ausdrücke.

Ausgangspunkt ist das Urheberrechtsgesetz (UrhG). Dieses unterscheidet nicht danach, zu welchem Zweck eine Vervielfältigung angefertigt wird, es ist also egal, ob man das privat zu Hause macht oder für eine öffentliche Veranstaltung:

Die Vervielfältigung graphischer Aufzeichnungen von Werken der Musik (…) ist, soweit sie nicht durch Abschreiben vorgenommen wird, stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig (…).

§ 53 UrhG

Drei Dinge sind hier wichtig. Erstens ist eine Vervielfältigung sowohl die gute alte Fotokopie als auch digitales Abfotografieren oder Einscannen. Zweitens heißt Abschreiben tatsächlich das Anfertigen einer einzelnen Abschrift. Ob man die wirklich per Hand oder mit einem Notensatzprogramm macht, ist egal, aber man darf diese Abschrift dann auch nicht weiter vervielfältigen. Drittens ist der Begriff Berechtigter zentral, denn dafür gibt es eine wichtige Regelung:

Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers.

§ 64 UrhG

Das bedeutet, daß alle Werke eines Urhebers am 1. Januar nach seinem 70. Todestag gemeinfrei werden und es somit keinen Berechtigten mehr gibt. Online-Datenbanken wie die CPDL oder IMSLP bestehen daher hauptsächlich aus solchen Werken, teils aus Scans der Erstausgaben, teils aus von Privatleuten neu gesetzten, freien Partituren.

Was ist aber mit gekauften Ausgaben von gemeinfreien Werken – darf man die vervielfältigen? Das hängt interessanterweise nur davon ab, ob es eine wissenschaftliche Neuausgabe (§ 70 UrhG) des Werks ist oder ob es ein nachgelassenes Werk ist, das zum ersten Mal erscheint (§ 71 UrhG). Dann ist der Verfasser dieser Ausgabe der Berechtigte, allerdings nur für 25 Jahre – danach wird auch diese gemeinfrei.

Wenn auch dieses Recht nicht mehr besteht, darf man gekaufte Ausgaben tatsächlich vervielfältigen, denn das Notenstichbild selbst unterliegt nicht dem Urheberrecht (Wikipedia). Problematisch wird es nur, wenn man diese Vervielfältigungen geschäftsmäßig vertreibt, denn dann könnte man gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen, aber auch nur, wenn das Notenstichbild noch keine 50 Jahre alt ist. Daher können Datenbanken wie IMSLP auch Scans von älteren Ausgaben vertreiben, ohne hier Probleme zu bekommen.

Aber auch für Werke, die nicht gemeinfrei sind, gibt es ggf. Möglichkeiten, legal Vervielfältigungen herzustellen. Die VG Musikedition [1] bietet z.B. Lizenzmöglichkeiten für Kirchengemeinden, Schulen usw. an. Für einzelne Veranstaltungen, wie z.B: Workshops, kann man bei den Verlagen anfragen, ob man eine Einzellizenz bekommt, z.B. um Notenauszüge an Teilnehmer zu verteilen. Viele Verlage bieten auch Download-Lizenzen von Noten an, die oft sogar günstiger sind als die gedruckten Noten. Diese darf man dann z.B. nur mit dem Chor nutzen, für die es lizenziert wurde, und dafür auch ausdrucken. Und letztendlich gibt es auch Chorbücher, bei denen eine Kopierlizenz inbegriffen ist.

Fazit

In den Chören, in denen ich singe oder als Vorstand aktiv bin, machen gemeinfreie Werke einen großen Teil des Repertoires aus. Daher haben wir schon viel Geld damit gespart, indem wir bei diesen Werken auch freie Ausgaben verwenden. Mein Lieblingsbeispiel dazu ist »Nunc dimittis« von Thomas Tallis, das beim Deutschen Chorwettbewerb 2023 Pflichstück in der Kategorie A1 war. Vorgegeben war diese Ausgabe von Ferrimontana von 2021. Man vergleiche sie mit der freien Ausgabe von Ben Cunningham von 2016. Ob man für vier Seiten Musik (OK, mit buntem Titelblatt) 2,60 € pro Exemplar bezahlen möchte, oder lieber 0,16 € im Copyshop und für die aus Tablet Singenden gar nichts, darf jeder selbst entscheiden.

Witzigerweise wollte der Deutsche Chorwettbewerb für die Jury ausschließlich digitale Noten. Ich würde mal schätzen, daß ich einer der wenigen war, der für alle Stücke bei den Verlagen angefragt hat, ob er eine Einzellizenz für diese Art der Vervielfältigung bekommen kann.

Quellen

  1. VG Musikedition: Legal kopieren? Wir wissen wie!
  2. Christian Kuntze: Wann ist Notenkopieren legal? Neue Musikzeitung (nmz)
  3. Chornoten kopieren – was ist erlaubt? Chorheute – Das Chormagazin