Kombilösungsansätze

Als ich im Herbst 2002 nach Karlsruhe zog, hatte die Stadt einen Ruf als Nahverkehrs-Metropole, der natürlich auch bis nach Mosbach vorgedrungen war. Ich als Kleinstädter, der den ÖPNV bisher nur als rumpelige Überlandbusse mit unfreundlichen Busfahrern erlebt hatte, war begeistert. Bald konnte ich den KVV-Netzplan auswendig und hatte es mir vorgenommen, alle Linienäste mit meinem Studi-Ticket abzufahren, was ich später auch tat. Ich entdeckte auch, daß es Streckenabschnitte gibt, die nur bei Umleitungen befahren werden; und wenn es einmal baustellenbedingt solch eine Umleitung gab, mußte ich mir das natürlich auch anschauen. Das war kein Problem, denn jede noch so kleine Baustelle und Umleitung wurde sehr gut und lange vorher an den Haltestellen angekündigt; bei größeren Baustellen gab es sogar  Plakate in der Innenstadt, auf denen ein kleines Mädchen mit freundlichem Gesicht abgebildet war, das mit den Fingern auf die Umleitungshinweise zeigte. Das Plakat brachte einen wirklich zum Schmunzeln – so, wie es die Deutsche Bahn mit Max Maulwurf schon länger versucht (bei mir jedoch bisher ohne Erfolg). Die Homepage des KVV war ein wenig altbacken, doch man sah an den »!«-Schildsymbolen gleich, wo eine Baustelle bzw. Umleitung war. Als die Umleitung dann in Kraft trat, standen an den meisten Haltestellen Mitarbeiter in Warnwesten, die Fahrgästen sagten, wo es lang ging.

Soweit die Situation damals, zusammengefaßt:

  • Ich = Eisenbahn-Nerd, der regelmäßig ka.verkehr, andere Foren und die KVV-Seite besucht
  • Karlsruhe = Nahverkehrs-Metropole mit funktionierendem Baustellen-Management.

Dann kam die Kombilösung.

Für Nicht-Karlsruher: Das ist der Euphemismus für eine radikale Umgestaltung der Karlsruher Innenstadt, bei der die Straßenbahn in der Fußgängerzone sowie die B10 am Südrand der Innenstadt unter die Erde verlegt werden. Das ganze kostet > 600 Mio. € und wird Karlsruhe bis mindetens 2019 in eine riesige Baustelle verwandeln. Ich durfte 2002 leider noch nicht am Volksentscheid über die Kombilösung teilnehmen, da ich erst ein paar Wochen in Karlsruhe gemeldet war. Wie ich damals abgestimmt hätte, kann ich heute nicht mit Sicherheit sagen, denn über dieses Projekt kann man (zurecht) ganz unterschiedlicher Meinung sein; für die Meinungsbildung und weitere Infos empfehle ich das Stadtwiki mit den dort vorhandenen Links. Doch über den Sinn und Unsinn der Kombilösung soll es hier nun gar nicht gehen, sondern um die Informationspolitik des KVV.

Ein Beispiel von heute morgen:

Ich stehe am Mendelssohn-Platz und will zum Karl-Wilhelm-Platz – momentan die einzig sinnvolle Haltestelle, wenn man an den Fasanengarten will, denn die Haltestelle Durlacher Tor wurde ja ca. 500m gen Westen verlegt. Fangen wir also gleich mal mit dem Thema Durlacher Tor an: Als ich auf ka-news las, daß die Haltestelle für die nächsten zwei bis drei Jahre verlegt wird, kam das für mich ziemlich überraschend. Und wenn es für mich als Pufferküsser überraschend kommt, vermute ich mal, daß es den nicht-Karlsruher oder den Gelegenheitsfahrer noch mehr überrascht oder daß er davon im Zweifel gar nichts davon erfährt. Wie hätte er auch?

Geht man auf die KVV-Seite, springt einem auf der Startseite ein toller Slider ins Gesicht, dessen Meldungen folgendermaßen lauten: “KVV koopertiert bei ‘Call a Bike’ mit DB”, “Spatenstich für Neubau Straßenbahn Südost erfolgt” (vom März 2011*) und “Der Infopavillon ‘K’ der Kombilösung” (April 2010, siehe meinen Beitrag darüber). Bei einer solchen Startseite merkt man förmlich, daß die PR-Fuzzis, die für die Inhalte verantwortlich sind, ihre toll designte Seite nicht mit so etwas Negativem wie Baustelleninformationen verschmutzen wollen. Das Wort “Baustelle” oder “Umleitung” sucht man auf der Startseite vergeblich – das kann die Deutsche Bahn wesentlich besser! (Die Seite “Baustellen und Umleitungen” auf der KVV-Homepage zeigt zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels eine leere Liste.) Wühlt man sich durch die Pressemeldungen, findet man irgendwo diese hier zum Durlacher Tor. Man hat sich jedoch nicht die Mühe gemacht, den Umgebungsplan für die Haltestelle oder irgendeinen anderen Plan anzupassen; die meisten sind sogar noch auf dem Stand von 2007. Nun kann man zwar einwenden, daß das alles nicht so wichtig ist, da die Beschilderung vor Ort ja recht umfangreich ist und auch oft Service-Personal vorhanden ist, das einem den Weg weist. Das stimmt zwar; wenn man jedoch schlecht zu Fuß ist, sei es krankheitsbedingt oder weil man viel Gepäck schleppen muß, überlegt man sich vorher sehr genau, wo man einsteigt, damit man nicht 500m zuviel laufen muß. Und wenn man nachts unterwegs ist, gibt es kein Service-Personal, und möglicherweise kommt die nächste Bahn erst in 30 Minuten. Die KVV-Homepage hilft einem also hier nicht. Von der Kombilösungs-Seite will ich jetzt gar nicht anfangen, dort findet man nur selten zwischen dem ganzen PR-Geblubber mal tatsächliche Informationen; später dazu mehr.

Ich stehe also am Mendelssohnplatz und will aus besagten Gründen zum Karl-Wilhelm-Platz. Baustellenbedingt fahren die Linien 4 und 5 zur Zeit wegen Umleitung über den Mendelssohnplatz, wodurch ich ohne Umsteigen an mein Ziel komme – so denke ich jedenfalls. Die 5 ist mir gerade vor der Nase weggefahren, aber da die 4 und die 5 die einzigen Linien sind, die am Karl-Wilhelm-Platz halten, bringt es mir auch nichts, mit der gerade einfahrenden Linie 3 zum Kronenplatz vorzufahren und dort in eine andere Bahn umzusteigen. Da fällt mir dunkel ein, daß zum 11.9. irgendwas geändert wurde. Ich schaue noch schnell auf den Plan der Linie 4, der noch immer am  Mendelssohnplatz hängt, und sehe, daß die Bahn in den letzten fünf Minuten, in denen ich hier stehe, schon längst hätte vorbeikommen müssen. Obwohl Verspätungen nicht ungewöhnlich sind, nehme ich doch die 3 und fahre vor zum Kronenplatz. Dort gehe ich um die Ecke und sehe auf der Anzeige die angekündigte 4. Seit gestern fährt sie also wieder den alten Fahrtweg. Da ich noch fünf Minuten Zeit habe, will ich mal versuchen, wie man das anhand des Aushanges hätte herausfinden können.

Im Schaukasten am Mendelssohnplatz hängen zwei Netzpläne: Der ursprüngliche Netzplan seit Dezember 2010 und ein Plan der Umleitungen bis zum 11.9. Keiner der Plänge zeigt die derzeitige Situation (die noch bis zum 30. September bestehen wird), in der die Linie 5 umgeleitet ist, die Linie 4 aber nicht mehr. Rechts hängen zur Verwirrung der Kunden auch noch ein Plan für die Linie 4, auf dem unten dick “gilt nicht bis zum 11.9.2011″ darüber geklebt ist. Nun weiß der Kunde zwar, was vom 28.7. bis zum 11.9. alles nicht fuhr, nur leider weiß er nicht, was momentan fährt. Die elektronische Anzeige, wenn sie denn funktioniert, sagt ihm zwar, welche Bahnen als nächstes ankommen werden, aber nicht, auf welchem Fahrweg sie weiterfahren, oder welche Bahnen zu anderen Zeiten fahren. Als größter Gag hängt noch ein Linenplan für die Linie 3, auf dem “gültig bis Frühjahr 2011” steht. Kein Kommentar. Natürlich bin ich gut am Ziel angekommen, was bei dieser kurzen Strecke zur Hauptverkehrszeit kein Problem ist; für den Fremden, der Sonntag nachts in Karlsruhe Bahn zu fahren versucht, sieht das aber wahrscheinlich ganz anders aus.

Die Zeit, in der ich den Netzplan auswendig kannte, sind längst vorbei. Im Prinzip muß man ihn heutezutage aber auswendig kennen und dazu noch alle drei Wochen neu lernen. In meinem konkreten Fall mußte ich also den Netzplan von 2010 kennen, die Umleitungen vom 28.7. dazunehmen und dann mit der Information, welche Umleitungen am 11.9. wieder wegfallen, in meinem Kopf einen virtuellen aktuellen Netzplan erstellen. Oder ich könnte vor jeder einzelnen Fahrt auf EFA nachschauen, wie ich fahren muß; aber das ist selbst mir als technikaffinem Nerd zu viel. Wie sollen sich da ältere Menschen zurechtfinden?

Lieber KVV, könntet Ihr also auf Eurer Homepage vielleicht eine Baustellenseite einrichten, die den Namen auch verdient und nicht nur eine leere Liste anzeigt? Könntet Ihr einen jeweils aktuellen Netzplan vorhalten, damit man nicht raten muß, wo die Bahn wohl heute entlangfährt? Könntet Ihr den vielleicht auch an die Haltestellen und in die Bahnen hängen? Ihr habt zwar viele Bahnen und Haltestellen, aber Zettel Aufhängen wäre doch ein toller Nebenjob für Studenten oder Schüler. Die wollen dafür auch nur einen Bruchteil der 600 Mio. €, die für die Kombilösung aufgewendet werden. In Kürze: Könntet Ihr Euren Service also wieder auf das Niveau von 2002 bringen?

Natürlich geht es auch immer noch schlimmer. Die Kombilösungs-Homepage verschleiert die Informationen zum Bau so geschickt, daß man sich eine halbe Stunde durch irgendwelche Flash-Filmchen klicken kann, ohne zu erfahren, wann essentielle Straßen in Karlsuhe mal eben voll gesperrt werden oder ganze Streckenabschnitte der Straßenbahn eingestellt werden. Wobei ich, das möchte ich hier betonen, die Ausführung des Projektes eigentlich bis jetzt ganz in Ordnung finde; ich habe lieber etwas chaotische Zustände am Durlacher Tor, die entstehen, wenn man unter rollendem Rad ein ganzes Streckennetz umbaut, als das Heidelberger Prinzip, wo Straßenbahn-Stammstrecken mal eben für zweieinhalb Jahre dicht gemacht werden. Allerdings muß man die Leute auch adäquat informieren, und das nicht erst zwei Wochen vorher mit einer knappen Pressemeldung.

Liebe KASIG, könntet Ihr also Eure Propaganda-Homepage in die Tonne treten und durch etwas ersetzen, was den leidgeplagten Karlsruhern wirklich hilft? Die können jetzt nämlich eh nix mehr daran ändern, daß das Ding gebaut wird und Ihr schon 800.000€ für einen Info-Pavillon ausgegeben habt, und würden lieber gerne wissen, ob sie nach zwei Wochen Abwesenheit ihre Stadt wiederkennen und mit Auto, Bahn oder zu Fuß noch da hinkommen, wo sie hinwollen, und nicht, ob jetzt eine Blechdosen-Ausstellung im “K.” stattfindet. Könntet Ihr das einzig aufschlußreiche Dokument auf Eurer Homepage, nämlich den Gesamtlageplan für die Kriegstraße, wieder als PDF einstellen und nicht als lächerlich kleine Grafik, auf der man gar nichts erkennt? Könntet Ihr den geplanten Bauablauf irgendwo übersichtlich auflisten und nicht in einer blöden Flash-Animation verstecken, in der nicht mal Jahreszahlen genannt werden? Könntet Ihr Euren Ersatz-Max-Maulwurf “Kombi-Karle” wenigstens mit dem Informationsgehalt seines Vorbilds ausstatten?

Ich befürchte ja, daß nichts davon so bald wahr wird. Aber andererseits, wie langweilig wäre mein Weg zur Arbeit, wenn ich nicht am Durlacher Tor jeden Tag aufs Neue überlegen müßte, wie ich jetzt von der einen Seite auf die andere komme.

* Wer sich übrigens jemals über das seltsame Projekt “Südostbahn” gewundert hat, dem empfehle ich diesen Thread im Verkehrsforum Karlsruhe.

5 Antworten auf „Kombilösungsansätze“

  1. Was bin ich froh, dass wir rechtzeitig die Flucht in eine Stadt mit bereits existierender U-Bahn ergriffen haben. 🙂

    Viele Grüße,

    Marcel

  2. Witzig in HD: Es wird sich nicht mal die Mühe gemacht, die Endstationsanzeige auf den Zügen den aktuellen Gegebenheiten anzupassen, da ja ein SEV (freilich mit alternativer Route) eingerichtet ist.

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